Reisebericht der großen Herbstaktion mit Kastrationstagen

Vorwort

Reisebericht Gheorgheni 17. bis 25. Oktober 2013

Es mag ungewöhnlich sein, aber dieses Mal beginne ich mein Reisetagebuch mit einer Einleitung, denn irgendwie war alles anders. Das fing schon im August an, als sich herausstellte, dass wir für den Oktober keinen gemeinsamen Termin mit Nina vom Tierärztepool für eine fünftägige Kastrationsaktion finden können. Aber ein Kastrationsprojekt war dringend notwendig.
Daher haben wir nach Alternativen gesucht, und eine sehr gute gefunden!
Die Lösung ist das Kastra-Team von Carol Lazar (kurz: Karcsi) aus Oradea, das ich im Juni selber kennengelernt habe. Schöner Nebeneffekt: Wir unterstützen damit auch den einheimischen Tierarzt Dr. Luteu Ioan Razvan (kurz: Razvan), der gerade eine Kastra-Klinik und ein Tierheim in Beius einrichtet. So bleibt das Geld im Land und der Tierschutz in Rumänien hilft auch den Menschen vor Ort. Zudem haben wir ein sehr erfahrenes und tierschutzkonform arbeitendes Hundefängerteam gleich mit engagiert. Damit können wir natürlich sehr viel effektiver arbeiten, als wenn wir selber durch die Gegend fahren und mit bloßen Händen Straßenhunde einfangen, was oft scheitert, da wir keine Betäubungsmöglichkeit haben. Ausserdem wollen wir daran arbeiten, das Tierheim für unsere Hunde winterfest zu machen, durch Hüttenbau, Wärmeisolierung der Krankenstation und vieles mehr …

Mitten in diese Vorbereitungen platzte eine Horrormeldung aus Rumänien:
Am Montag, den 2. September sei ein vierjähriger Junge von einem Rudel streunender Hunde in Bukarest tot gebissen worden. So die offizielle Nachricht. Nun solle es schnellstmöglich ein Gesetz geben, dass das Einfangen und Töten aller Straßenhunde im ganzen Land vorsieht.
Doch noch bevor es dieses Gesetz überhaupt gab, gingen Horrornachrichten von schlimmsten Gewaltaktionen gegen die Hunde durch die sozialen Netzwerke, bildgewaltig unterstrichen von grausam zugerichteten oder tot geschlagenen Hunden. Wer sich schon länger mit der Straßenhundethematik in Osteuropa befasst hat, konnte manche Bilder aus vergangenen Jahren wieder erkennen. Aber in solchen Situationen sind einigen “Tierschützern” wohl alle Mittel recht, um ihr “Wissen” zu verbreiten und auf der Welle der Empörung Stimmung gegen ein ganzes Land zu machen. Ich halte mich an Berichte seriöser Organisationen, wie den BMT (Bund gegen den Missbrauch der Tiere), die jedoch auch schon schlimm genug sind. Den Bericht eines BMT-Mitarbeiters, der vor Ort war, sowie meine Haltung dazu kann man hier nachlesen (ohne grausame Bilder): Zur aktuellen Situation der Straßenhunde in Rumänien

Die gräßlichen Bilder und Gedanken bekomme ich trotzdem nicht mehr aus dem Kopf: Welchen Sinn macht es überhaupt, jetzt noch eine Kastra-Aktion zu planen? Was machen wir, wenn unser Bürgermeister auf diesen Zug aufspringt und alle Straßenhunde – auch die kastrierten – umbringen lässt ….

“Wie sieht es in eurem Tierheim aus, ist mein Patenhund dort überhaupt noch sicher?”
Ich weiss nicht wieviele solcher E-Mails ich beantwortet habe, immer versuche ich zu erklären, dass wir ja ein privates Tierheim seien, und bislang in Gheorgheni noch alles ruhig sei. Dann kommt die Nachricht, dass der Bürgermeister am 1. Oktober beginnen will, alle Hunde einzufangen, in sein eigenes Tierheim (welches denn?) zu bringen und nach 7 Tagen einschläfern zu lassen. Nun, er hatte uns ja im Februar von seinen Plänen erzählt, nur vom Töten war da nicht die Rede gewesen …

OK, wir planen um:
Wir wollen versuchen, möglichst viele Hunde von den Straßen zu fangen, und sie irgendwie bei uns unterzubringen. Dazu müssen dringend neue Zwinger und Hundehütten gebaut werden. Parallel dazu wird kastriert, was auffindbar ist, denn sonst können wir die Tiere ja nicht bei uns behalten. Ausserdem hatte der letzte Sommer deutlich gezeigt, dass sich die Anzahl der Welpen auf den Straßen durch die vergangenen Aktionen schon drastisch verringert hat. Also weitermachen!

Vertrag mit dem Kastra-Team aushandeln, Flüge und Hotelzimmer buchen, einen Mietwagen für die Zeit organisieren und alle Menschen zur gleichen Zeit an denselben Ort zu bekommen, erfordert eine Logistik, die nicht zu unterschätzen ist. Jetzt brauchen wir nur noch Geld für die ganze Aktion. Die erste Planung geht von 5.000 € aus.
Wir rechnen mit 20 Kastras am Tag: Das käme für 5 Tage auf eine Gesamtsumme von 2.250 €. (je Kastra 100 RON = ca. 22.50 €) Darin sind ALLE Kosten für den Tierarzt, die OP’s und die Hundefänger incl. Transport von Oradea nach Gheorgheni, ausser Unterbringung und Verpflegung, enthalten. Für die Verpflegung für 10 (z.T. nur 7) Tage rechnen wir für alle Beteiligten aus Deutschland (4 Personen) und Rumänien (3 bis 4 Personen) mit ca. 750 €. Dazu noch rund 650 € für die Unterbringung aller Menschen im Hotel Filó. und rund 800 € an Reise- / Transportkosten Deutschland-Rumänien. Zusätzlich planen wir Materialkosten in Höhe ca. 600 € vor Ort für Bau von Hütten, Zwingern, etc. ein. Ich erstelle eine Spendenveranstaltung auf Facebook und schon nach wenigen Tagen sind 1.800 € auf unserem Konto! Und es geht Schlag auf Schlag weiter.
Etwas makaber ist das schon, aber die schlimmen Ereignisse haben eine Welle der Hilfs- und Spendenbereitschaft ausgelöst, von der wir nun profitieren.
Hier schon mal ein riesengroßes DANKESCHÖN an alle, die unsere Arbeit als richtig und gut empfinden, und uns so großzügig unterstützen.

Eine besonders schöne Aktion “Karpatenstreunerwein” haben sich Gaby und Joé Beissel aus Luxemburg für uns ausgedacht. Sie stiften rund 100 Flaschen Pinot Gris aus eigenem biologischem Anbau, die wir für 8 Euro die Flasche verkaufen können. Gaby stiftet zusätzlich die Versandkosten. Zwei Tage, nachdem ich diese Veranstaltung in facebook erstellt habe, sind 90 Flaschen verkauft! Weitere 12 Flaschen in den darauffolgenden Tagen.

Schon am 24. September ist die Aktion so gut wie vorfinanziert: auf dem Kastrakonto sind 3.720 € eingegangen + 1.060 € für Baumaterialien. Ich überweise dann gleich mal 1.000 Euros nach Gheorgheni auf das Konto von GATE, damit die benötigten Materialien schon da sind, wenn wir ankommen, und der Bau von Hütten und Zwingern sofort beginnen kann. Ausserdem kann ich aus der Vereinskasse wieder mal 100 Transponder, einige wichtige Medikamente und ein kleine medizinische Schermaschine kaufen.

Auch in Gheorgheni werden erste Vorbereitungen getroffen: Nora Henter, gebürtig aus Gheorgheni, entwirft, druckt und verteilt gemeinsam mit Eva Gergely vom Tierschutzverein Füles in Gheorgheni sowie Ágota und Levente kleine Flyer, auf denen unsere Aktionen im Stadtgebiet angekündigt werden. Die Zeichnung hat uns Eva Orendi aus Mierdurea Ciuc zur Verfügung gestellt.

Am Mittwoch, den 16. Oktober treffen sich dann Sabine aus München, Werner aus Hamburg, Barbara aus Xanten, Monika und Bernhard bei mir in Essen zu einem ersten gemeinsamen Abendessen mit köstlichem Karpatenstreunerwein.

Sabine und Werner sind zum ersten Mal dabei, und man merkt ihnen die Anspannung an. Monika und Bernhard kommen dieses Mal nicht mit. Barbara und ich wissen ja schon in etwa, was auf uns zukommt oder zukommen kann, aber aufgeregt bin ich trotzdem: Wird auch alles so klappen, wie geplant, wird morgen der Leihwagen auch am Flughafen sein, wenn wir landen? Werden Agota, Levente und Attila den OP-Raum vorbereitet haben, wird das Baumaterial schon da sein, wie vereinbart? Richtig schlafen werde ich erst wieder, wenn ich im Flugzeug sitze, denn dann kann ich die Dinge sowieso nicht mehr beeinflussen.

Donnerstag, 17. Oktober 2013
Kurz nach 11 Uhr landen wir am Transilvania Airport in Târgu Mures, alles klappt bestens, der Leihwagenvermieter wartet schon auf uns. Das Auto ist zwar kleiner als angenommen und für vier Personen mit viel Gepäck etwas eng, aber wir kommen am frühen nachmittag in Gheorgheni gut an und fahren schnellstens zum Tierheim. Von Ágota und Levente fehlt jede Spur. Sie wissen eigentlich, dass wir heute kommen. Nur Attila ist anwesend und hält die Stellung. Eine freundliche Begrüßung für vier Leute, die immerhin aus 2.000 km anreisen, wäre nett gewesen, oder? Aber egal.

Was ich als erstes erfreut feststelle: der Kettenhund Foltos läuft FREI! Ebenso Teke, der kleine Stinkstiefel, der im Sommer zweimal das Bein an meiner Hose gehoben hat. Nun ist nur noch Max an der Kette, der jedoch nachts als Wachhund frei läuft.
Foltos, der Aufpasser, der an der Kette durchaus schon mal schnappig war, kommt freundlich angelaufen und will nur gestreichelt werden und spielen! Der Wachhund ist in Rente gegangen.

Die Junghunde sind auch weiterhin im Freilauf und haben sich dort prima arrangiert, die zweite im Juni fertiggestellt Freilauf wird auch regelmäßig genutzt, auch wenn er jetzt leer ist. Auf jeden Fall wächst dort kein Gras mehr. Nur die Hunde in den Aussenzwingern bekommen immer noch keinen regelmäßigen”Ausgang”. Ansonsten sehen sie gesund und gut genährt aus.

Effi  black nose ist es gleichgültig, ob die Tür vom Zwinger verschlossen ist, oder nicht, sie klettert einfach über den Zaun und erobert innerhalb weniger Minuten mal eben den Werner.

Meiner lieben Hündin Dalarna, die mich in Juni fast vier Wochen lang täglich begleitete, geht es zwar rein äußerlich recht gut. Doch leider muss sie nun im Tierheim bleiben, da sie angefangen hat, das Haus vehement zu verteidigen, wobei sie durchaus auch schon mal zwickt und zwackt. Im Freilauf der Hunde jedoch hat sie nichts zu melden, sondern wird immer wieder in eine Hütte getrieben. Sie wirkt unglücklich auf mich.

Die Suche nach dem Baumaterial verläuft übrigens erfolglos. Attila weiss von nichts, es gibt nicht einmal erste Überlegungen wohin ein neue Zwinger gebaut werden könnten! Wenn ich bedenke, dass ab Montag ein Hundefängerteam hier ist, dann ist mir schleierhaft, wohin mit den neuen Hunden. Wir rechnen mit ca. 30 Neuzugängen.

Freitag, 18. Oktober

Morgens um 10 treffen wir dann endlich auch Ágota und Levente. Die Gründe warum nichts vorbereitet ist, sind wenig überzeugend. Auch wenn Sabine und Werner ungeduldig sind, sie müssen das erste und höchste Gesetz Rumäniens erlernen: ASTEPTARE = Warten und geduldig sein. Ohne Baumaterial kann man nix bauen, daher “müssen” wir uns damit begnügen, durch die Zwinger zu wandern und die Hunde zu besuchen und zu knuddeln. Die meisten freuen sich tierisch darüber.

Alexa
Athos ist zu einem selbstbewussten Junghund herangewachsen. Anfassen lässt er sich nicht freiwillig.
Die gute alte Bella genießt die Mittagssonne und lässt sich auch gerne mal kraulen.
Bernie fragt sich immer noch, warum er nicht frei sein darf. Er ist so zutraulich.
Anjali, anfassen geht so langsam
Finaki
Ferdinand ist inzwischen ein richtig großer Plüschhund geworden. Inzwischen hat er seinen Platz in der Hundegesellschaft gefunden und fühlt sich darin pudelwohl. Er ist unglaublich verspielt. Hier mit Petyes

Am Nachmittag haben Agota, Barbara und ich einen Termin beim Bürgermeister von Gheorgheni. Viel versprechen wir uns nicht davon, aber es ist wichtig Präsenz zu zeigen, und mal etwas über seine Pläne bezüglich der Straßenhunde in Gheorgheni zu erfahren.
Bisher hat es abgesehen von 2 vermutlich vergifteten Hunden Anfang September keine getöteten Hunde hier gegeben.
Kurzes Ergebnisprotokoll des einstündigen Treffens:

  1. unsere Hunde in unserem Tierheim sind sicher.
  2. direkt neben unserem Tierheim wird ein städtisches TH gebaut. Städt. Hundefänger werden durch die Stadt ziehen und wollen ALLE Hunde von den Straßen fangen. Sie werden im städt. TH untergebracht. 14 Tage lang stehen sie zur Adoption, danach werden sie getötet.
  3. Jetzt entsteht direkt neben unserem Tierheim eine Tötungsstation. Wenn wir wollen, können wir die eingefangenen Hunde da herausholen. Dann wird ihnen nichts geschehen. Das stellt uns vor schier unlösbare logistische Probleme. Der BM rechnet mit etwa 300 Tieren in relativ kurzer Zeit. Natürlich werden dann immer wieder neue hinzu kommen, denn ist eine Stadt kurzzeitig hundefrei, dann werden ganz schnell aus den Nachbarorten neue Hunde dort ausgesetzt … eine never ending story ….
  4. Somit stehen wir – und besonders Ágota und Levente unter ganz enormem psychischen Druck, dem sie schon jetzt nichts mehr entgegen setzen können. Sie wirken auf mich wie gelähmt und irgendwie unfähig weiter als bis zum nächsten Tag zu denken. Verständlich unter dieser Situation.