Was bedeutet es, einen Hund aus dem Tierschutz, speziell aus dem Ausland, zu adoptieren?

Ein Erfahrungsbericht, den uns die Adoptantin von Vanilli (jetzt Nelly) geschrieben hat.

Vorab ein großes liebes Dankeschön an Sandra v.K. für diesen tollen und ehrlichen Erfahrungsbericht! Nelly ist dort inzwischen völlig angekommen und wir könnten uns kaum bessere Adoptanten vorstellen.

Hier ihr Bericht:

Erfahrungsbericht

Unsere Nelly ist unser dritter Hund aus dem Tierschutz und der erste aus dem Ausland. Bevor ich anfange, über unsere erste gemeinsame Zeit zu berichten, ist es mir wichtig festzustellen, dass JEDER Hund anders ist. Eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber man darf es nie vergessen. Außerdem gilt für einen Hund natürlich dasselbe wie für jedes andere Familienmitglied: Es gibt völlig „unproblematische“ Exemplare und welche, mit denen sich der Umgang manchmal als schwierig gestaltet 😊. Dessen muss man sich bewusst sein und darf keine Perfektion erwarten. Die bekommt man aber selbstverständlich auch nicht in Form eines Welpen vom Züchter.

Die Vorbereitungen

Zunächst ist es wichtig, sich darüber klar zu werden, was man dem Hund bieten kann und was einem wichtig ist und dies offen und ehrlich mit dem vermittelnden Verein zu besprechen. Uns war z.B. wichtig, dass der Hund nicht so groß ist, dass er wegen einer Allergie ein langes und glattes Fell hat und dass ich ihn mittelfristig mit ins Büro nehmen kann, er also kein Dauerbeller ist. Wir waren nicht auf einen bestimmten Hund festgelegt und die tollen Ehrenamtlichen der Karpatenstreuner, die die Hunde ja alle besser einschätzen können, haben uns den für uns perfekten Familienzuwachs ausgesucht.

Die ersten Tage im neuen Zuhause

Man darf von einem neuen Hund genauso wenig erwarten, dass er sich sofort anpasst und perfekt einfügt, wie von einem Kind. Das war uns klar und ich hatte mir alles so eingerichtet, dass ich die ersten Tage frei habe und ggf. noch ein bisschen im Homeoffice arbeiten kann. Wir hatten uns schon diverse Hundeschulen rausgesucht und von Halsband über Körbchen bis zu Futter und Leckerlis war alles bereit. Und dann mussten wir leider feststellen, dass wir überhaupt nicht wirklich vorbereitet waren auf das, was auf uns zukommt 😊 . Die vorherigen Hunde waren schon an das Leben in der Zivilisation gewöhnt. Nelly logischerweise nicht und welchen Unterschied DAS macht, war uns überhaupt nicht klar.

Vanili/Nelly, rechts, mit Reisegefähren Yogi direkt nach der Ankunft in D

Nelly wollte sich draußen keinen Meter bewegen und sich in der Einfahrt am liebsten unter dem Auto verkriechen. Sie hat sich flach auf den Boden gedrückt und wenn sie mal zwei Schritte vorwärts gegangen ist, ist sie im Anschluss sofort wieder stehen geblieben. Wir dachten, das Problem sei das Geschirr, die Leine und das „Mitkommen“. Sie hat natürlich weder ihr großes, noch ihr kleines Geschäft erledigt. Nicht an diesem Tag und auch nicht am nächsten. Daher habe ich sie dann das erste Stück bis ins Feld getragen. Keine Menschen, keine Autos. Aber auch da kein Pipi und auch nix Großes. Am dritten Tag hat sie dann endlich ihr Geschäft im Feld gemacht und Pipi in der dunkelsten Ecke unserer Wohnung. So ging das auch erstmal weiter, soweit nicht ungewöhnlich. Allerdings blieb das auch noch so, als Nelly auch draußen gepullert hat. Also habe ich Frau Burck angeschrieben, die mir auch sofort mit Rat zur Seite gestanden hat und die mich beruhigen konnte, dass das schon ab und zu vorkommen kann und noch normal ist. Also mit Putzmitteln eingedeckt und weiter ging es. Heute weiß ich, dass weder Leine noch Geschirr, noch ein körperliches Problem die Ursache war, sondern ihre Unsicherheit. Ich habe gefühlt 1000 Berichte im Internet gelesen und bei einem hat es dann Klick gemacht. Der Verfasser hat das so ähnlich verdeutlicht: man solle sich vorstellen, man würde nachts im mittelalterlich anmutenden Dorf Kleintupfingen ins Bett gehen und wird über Nacht nach Tokio verschleppt und wacht dort morgens auf. Umfeld: anders. Sprache: nicht ansatzweise verständlich. Essen: völlig neu. Die Verunsicherung, die man dort empfinden würde, empfindet gerade der Hund. Und daher ist es eigentlich einleuchtend, dass er sich in dieser beängstigenden Welt nicht lösen kann, sondern zunächst nur dort, wo er sich halbwegs sicher fühlt: in dem neuen Zuhause. Letztendlich hat es irgendwann einfach aufgehört. Was ich diesbezüglich jetzt anders machen würde? Ich würde mit Nelly nur in den Garten gehen oder an einen Platz, wo nichts los ist. Und dort stehen bleiben. Warten, bis sie alles wahrgenommen hat und für sich abgespeichert hat, dass nichts Schlimmes passiert. Und erst dann weitergehen, wenn sie das von sich aus tut. Überhaupt: Ihr viel mehr Zeit geben, um überhaupt erstmal ansatzweise in der neuen Welt anzukommen.

Was erwartet mich hier?

Das zweite Problemchen war etwas, womit ich ebenfalls nicht gerechnet hatte. Zu meinem Mann und mir hat Nelly schnell Vertrauen gefasst und war sehr lieb und verschmust. Unserem Sohn (12) gegenüber war sie sehr misstrauisch. Er durfte sich ihr nur auf 2 Meter nähern, wenn ich direkt neben ihr saß und anfassen ging überhaupt nicht. Also das Kind mit Käse und Leberwurst ausgestattet, er hat sich auf den Boden gelegt und die Hand gaaaanz lang gemacht. Manchmal hat sie das Futter genommen, manchmal nicht. Nach ein paar Tagen hat sie ihn morgens dann angeknurrt und angebellt, als er ins Wohnzimmer kam. Wir waren so perplex, weil sie vorher nicht 1x einen Mucks von sich gegeben hat, dass die erforderliche Reaktion unsererseits, sie auf ihren Platz zu schicken, ausblieb. Das wiederholte sich und damit war uns klar, dass schon jetzt eine gute Hundetrainerin her musste. Hier ein Ratschlag für Unentschlossene: Einen Jäger fragen, zu welchem Hundetrainer er geht! Nur der Vollständigkeit halber an dieser Stelle aber schonmal der Hinweis, dass HUNDEschule eigentlich der falsche Begriff ist. Der MENSCH muss nämlich lernen, wie er mit seinem Hund arbeitet und ein Team bilden kann.

Eine Hundetrainerin war ausgeguckt aber der Termin noch eine Weile hin, also nochmal Frau Burck angerufen, die sich SO VIEL Zeit genommen hat, mit mir gemeinsam einen Lösungsansatz zu erörtern. Daraufhin haben wir unseren Sohn entsprechend gebeten, Nelly einfach komplett zu ignorieren. Nicht anschauen, kein Futter, nix. Und beim nächsten Knurren sofort auf ihren Platz geschickt.

Dann der sehnlich erwartete Termin mit der Hundetrainerin. Und wir mussten lernen, dass bei den Hunden, die bisher nicht unter Menschen, sondern nur unter anderen Hunden gelebt haben, VÖLLIG andere Kommunikationsstrukturen bestehen und wir mal locker flockig alles falsch gemacht haben. Nur das Ignorieren durch unseren Sohn war letztendlich richtig. Man stelle sich vor, ein Hund im Rudel liegt mit seiner Beute auf dem Boden. Der andere Hund müsste mit dem Klammerbeutel gepudert sein, wenn er da hingehen und sich die Beute wegholen würde. Also der Tipp unserer Hundetrainerin: Das Kind wird zum Futterautomaten. Jedes Mal, wenn unser Sohn an Nelly vorbei gegangen ist oder nur durch den Raum, hat er Käse oder Fleischwurst in ihre Richtung fallen lassen. Immer und immer wieder. Anfangs hat sie sich die Sachen erst geholt, als er wieder weg war, dann immer zeitiger und heute, 6 Monate später, kuschelt sie sich auf der Couch an ihn.

Auch ein Beispiel für einen absoluten Irrglauben: Fremde Hunde würden miteinander spielen. Tun sie nicht, sie haben in irgendeiner Art und Weise Klärungsbedarf. Und: Ein Hund, der mit der Rute wedelt, freut sich. Nein, er ist aufgeregt. Natürlich kann er sich auch freuen, aber das ist nicht zwangsläufig so, er kann sich genauso gut unwohl fühlen. In unserer Nachbarschaft laufen leider viele Hunde ohne Leine rum und besonders gut hören tun einige davon auch nicht. Nachdem also einige davon (u.a. ein 40 kg Koloss) auf die angeleinte und somit in der Kommunikation und der Flucht eingeschränkte Nelly zugeballert kamen und sie trotz etlicher Beschwichtigungssignale bedrängt haben und sich auch von mir nicht „absammeln“ ließen, findet sie Hunde mittlerweile alles andere als toll. Ein paar mag sie, aber das war es auch schon. Hier zeigt sich wieder der Unterschied zwischen Hunden, die unter Menschen aufgewachsen sind und denen, die unter Hunden aufgewachsen sind. Die Hunde, die in einem „echten“ Rudel gelebt haben, sind viel feinsinniger und kommunizieren viel mehr! Man muss sie nur verstehen lernen und das ist gar nicht so schwer. Es gibt im Internet viele gute Artikel zu allen möglichen Bereichen und wenn man sich damit auseinandersetzt, dann merkt man, wie oft Hunde von uns und auch von schlecht sozialisierten Artgenossen missverstanden werden. Ein Beispiel: Eine „normale“ Interaktion zwischen Hunden, die aufeinandertreffen, ist ein langsames aufeinander Zugehen. In großen, ausladenden Bewegungen und jeder lässt den anderen mal kurz schnüffeln und zieht sich dann erstmal wieder ein wenig zurück. Sobald einer von beiden Beschwichtigungssignale zeigt (Schnauze lecken, wegschauen, hinsetzen,…) sollte der andere die Nase aus dem Hintern ziehen und nicht weiter folgen. Und das hat bei uns anfangs leider nicht geklappt. Als Rudelführer muss man seinen Hund aber vor unangenehmen Situationen schützen, wenn man gegenseitiges Vertrauen aufbauen will. Also war es nötig, dass ich mich mit der Hundesprache auseinandersetze und sowohl merke, wenn Nelly etwas nicht möchte, um sie aus dieser Situation zu holen, oder diese am besten gleich vermeide, indem ich die anderen Hunde schon rechtzeitig einschätzen kann. Ein auf einen zuschleichender Hund, der immer kleiner wird bis er liegt und uns fixiert, will nämlich meistens nicht spielen und freut sich auch nicht, wenn er dazu noch wild mit der Rute wedelt – egal, was die Besitzer sagen.

Bis auf diese Startschwierigkeiten, die im Nachhinein unserem Unverständnis geschuldet waren (trotz „Hundeerfahrung“!) lief alles wie am Schnürchen. Nelly konnte allein bleiben, wir konnten relativ schnell mit ihr ins Restaurant und in Hotels (wo regelmäßig Ihr tolles Verhalten bewundert wird) und im Büro verhält sie sich auch vorbildlich, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Man muss nur auf sie achten und aufdringliche Zeitgenossen (sowohl mit 2 als auch mit 4 Beinen) auf Abstand halten. Hunde möchten nämlich auch nicht von Fremden von oben auf den Kopf gedatscht bekommen – wissen ja auch viele nicht.

Fazit

Habe ich in den ersten Wochen manchmal gedacht, ich schaffe das nicht und war teilweise wirklich verzweifelt? Ja. Hätten wir Nelly wieder hergegeben? Für kein Geld der Welt!

Ich würde jederzeit wieder einem Hund aus Ditrau ein Zuhause geben und da spreche ich natürlich auch für den Rest der Familie. Ja, es kann (nicht muss!) anders sein als mit Hunden aus dem Inland, die Menschen und alles andere in unserem Alltag schon gewohnt sind. Und ja, wir mussten noch viel lernen und sind damit auch noch lange nicht fertig. Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, hätten wir die grundlegenden Dinge, die wir uns im Bezug auf die Kommunikation mit Hunden erst jetzt in dem Maße angeeignet haben, als verantwortungsvolle Hundehalter eigentlich bei den beiden vorherigen Hunden schon können müssen. Aber ohne Anlass kommt man da leider nicht drauf.

Wir haben die Entscheidung jedenfalls bisher keinen Tag bereut und können uns ein Leben ohne diese süße, liebe, witzige, schlaue und treue Fellnase nicht mehr vorstellen. Jeder Hund, jedes Lebewesen bedeutet auch Engagement und Arbeit an der Beziehung, und es lohnt sich wirklich, dies in einen Karpatenstreuner zu investieren.

Wir freuen uns über diese Rückmeldung und Bericht. Vanillis Schwester Vally sucht übrigens noch!