Reisebericht der großen Herbstaktion mit Kastrationstagen

Montag, 21. Oktober

Das Einfangen der Straßenhunde

Fürs erste haben wir noch zahlreiche unkastrierte Junghunde im Tierheim. Damit kann Razvan am Morgen starten. Vor der Kastration der Straßenhunde muss man sie logischer Weise einfangen. Manchmal geht das sehr einfach, wie bei der kleinen schwarzen Hündin, die wir später “Happy” taufen werden. Sie ist zutraulich und hungrig.

Beste Voraussetzungen also.

Doch sehr viele Straßenhunde sind äußerst misstrauisch und scheu.

Dann muss leider ein Blasrohr zu Hilfe genommen werden. Das ist ein langes dünnes Rohr, das vorne mit einer Injektionsspritze bestückt wird. Das Gewicht des Hundes muss grob geschätzt werden, um die richtige Dosis des Betäubungsmittels Ketamin zu ermitteln. Damit muss aus relativer Nähe auf den Oberschenkelmuskel des Hundes gezielt werden.

Das ist mitten in der Stadt natürlich nicht einfach, denn es besteht doch immer die Gefahr, dass Kinder dazwischenlaufen oder ähnliches. Ich staune allerdings wie gleichmütig die Passanten das Ganze ignorieren. Nur wenige fragen nach, was wir machen. Hilfe bietet kaum jemand an. Daher müssen wir diese Hündin jetzt laufen laufen lassen

Auch diese kleine Hündin war nicht einzufangen. Natürlich gibt es die Priorität, vor allem Hündinnen einzufangen. Aber in der jetzigen Situation mit den Plänen des Bürgermeisters, die Stadt von Hunden zu “säubern” wollen wir möglichst viele Tiere aus dem Innenstadtbereich und den Wohngebieten einfangen.

Das ist bei panischen Hunden oft gar nicht einfach. Werden die Hunde vom Betäubungspfeil getroffen, erschrecken sie und rasen in Panik davon. Eine zweite Person muss das fliehende Tier verfolgen, solange bis es ermüdet und sich einfangen lässt. Ungefährlich ist das nicht, vor allem mitten in der Stadt, wo panische Hunde über stark befahrene Straßen rennen können. So eine Verfolgungsjagd kann gut und gerne 10 – 15 Minuten dauern. Verliert man das Tier dabei aus den Augen, kann es sich irgendwo verstecken und schläft seinen Rausch aus. Dann war die ganze Aktion erfolglos. Selbst halbbetäubte Hunde sind oft noch aggressiv und können nur mit einer speziellen Fangstange eingefangen werden.

Auch wenn Janos und Levente alles versuchen, die Hündin möglichst sanft zu behandeln, die Art des Einfangens ist immer traumatisierend und das Erlebte wird einige Zeit nachwirken. So kann es sein, dass sie von nun an Halsband und Leine immer wieder daran erinnern.

Das Ganze erfordet viel Übung, Wissen und Ausdauer. Diese blonde Hündin war extrem scheu und auch im Tierheim nach dieser Aktion noch sehr verängstigt. Wir haben sie Worry genannt. Immer wieder sind die Hundefängerteams verblüfft, wie schwer insbesondere die Hunde in Gheorgheni einzufangen sind. Gerade in den Gewerbegebieten sind sie extrem scheu. Doch auch diese Hunde müssen unbedingt eingefangen werden, ansonsten sorgen sie immer weiter für Nachwuchs, der in die freigewordenen Wohngebiete zieht. Solange dort die Ressourcen Futter und Unterschlupf durch die zentralen Müllcontainer und die unzähligen Garagen und Schuppen reichlich vorhanden sind, üben diese Stadtgebiete einen großen Reiz auf die Hunde aus. Auch das aktuell erlassene Verbot, Straßenhunde zu füttern, wird daran nichts ändern. Nur eine kastrierte und gut sozialisierte Population von kräftigen erwachsenen Hunden könnte diese Neuzuwanderungen kontrollieren.

Die eingefangenen Hunde kommen in Gitterboxen und müssen warten, bis sie kastriert werden. Hat man die Hunde erst einmal eingefangen, ergeben sie sie erstaunlich schnell in ihr Schicksal. Nur sehr wenige randalieren, die meisten sitzen eher unglücklich in ihren Boxen und harren der Dinge.

Kastration einer Hündin. Ist sie weder trächtig noch gerade läufig, ist das ein eher kleiner Eingriff mit kaum Blutverlust. Nur ein 3 – 4 cm langer Schnitt ist erforderlich, um die Uterushörner und die sich daran anschließenden Eierstöcke zu entfernen. (Ovariohysterektomie). Nach wenigen Minuten schon ist alles soweit, dass die Hautschichten mit mehreren Nähten geschlossen werden können. Je jünger die Tiere sind – und optimalerweise vor der ersten Trächtigkeit – ist das nur ein ganz kleiner fast unblutiger Eingriff. Bei Hündinnen, die schon viele Geburten hatten oder auch gerade trächtig sind, ist es eine recht aufwändige OP, wobei es zu stärkeren Blutungen kommen kann.

Die Uterushörner einer Hündin mit einer eitrigen Entzündung. Lange hätte sie nicht mehr damit überleben können.

Langsames Aufwachen aus der Narkose im warmen Raum.

Ende Oktober ist nicht gerade ein idealer Termin für eine Kastrationsaktion, aber anders ging es diesmal einfach nicht. Nach der OP brauchen die Hunde mehr Wärme als sonst, da durch das Narkosemittel der Kreislauf nicht richtig funktioniert und die Tiere unterkühlt sind. Alle Hunde müssen mindestens 12 Stunden am warmen Ofen liegen, ein Luxus, den viele vorher noch nie erlebt haben. Vor dem Eingriff werden die Hunde in Narkose gelegt und vorbereitet. Das war diesmal für die Helfer sehr viel einfacher, da ich noch vorher einen neuen Edelstahltisch kaufen konnte. Vorher musste das alles auf dem Boden gemacht werden. Ausserdem habe ich eine kleine sehr handliche Akku-Schermaschine von Aesculap speziell für Tierärzte anschaffen können. Hier noch einmal EIN GROßES DANKESCHÖN an unsere zahlreichen Unterstützer!
Die Tiere werden großräumig rasiert, die Haut gereinigt und sehr gründlich desinfiziert. Beim Rüden geht die Kastra sehr einfach: ein bis zwei kleine Schnitte und die “Bällchen” flutschen heraus. Die Samenleiter werden abgetrennt und die Hoden abgeschnitten. Dann wird das alles wieder zugenäht. Fertig.

Zum Aufwachen kommen die Tiere in Käfige, die an den Wänden gestapelt sind. Helfer sind ständig damit beschäftigt, die Käfige zu säubern. Nicht spaßig, aber notwendig. Nach der Aufwachzeit und mindestens einer Nacht am warmen Ofen wird jedes Tier noch einmal kurz angeschaut, ob auch alles gut aussieht und die Heilung begonnen hat. Geschwächte Tiere von der Straße kommen noch für ein, zwei Tage in unsere Krankenstation und dürfen dort Ruhe und warme Decken genießen, bis auch sie in die raue Wirklichkeit eines Zwinger oder der Straße zurück müssen. Private Hunde werden direkt nach dem Aufwachen von den Besitzern mitgenommen. Die Fäden sind selbstauflösend, müssen also nicht gezogen werden. Am ersten Tag wurden 26 Hunde kastriert: ca 10 aus unserem Tierheim, 13, die wir von den Straßen gefangen haben und 3 private Hunde, die gebracht wurden.

Nun stehen wir vor dem riesigen Problem: Wohin mit den neuen Hunden? Es ist unmöglich 10 fremde Hunde “mal so eben” auf vorhandene Zwinger zu verteilen. Ein finanzielles Problem ist es eigentlich nicht, eher ein rumänisch-organisatorisches. Das ist eine der Sachen, die mich trotz allem Verständnis für die viele Arbeit vor Ort immer wieder desillusioniert. Ideen haben wir ohne Ende, das Geld lässt sich besorgen, wir würden ja sogar weitere Helfer finanziell unterstützen. Aber die notwendige Eigeninitiative dort fehlt einfach. Oder das Interesse? Oder die Kraft? Nur wenn man selber vor Ort ist, geschieht auch was, und das sogar oft nur unter misstrauischen Blicken und Protesten. 
Ist ein Projekt (siehe die Freiläufe im Juni-Bericht) dann einmal verwirklicht, wird es meist auch angenommen und als “gar nicht mal so übel” bewertet. Würde ich einen Comic verfassen stünden hier jetzt lautmalerisch ein riesiges ARGHHHHHH .. und Sternchen, Blitze und Totenköpfe. Nur leider ist das Leben kein Comic.
Jeden Abend treffen Barbara, Sabine, Werner und ich uns auf einem Zimmer zum gemeinsamen Abendessen und zur Lagebesprechung. Das ist sehr schön, es taugt einfach nichts, wenn man mit diesen Gedanken, der Hilflosigkeit und der Wut alleine ins Bett geht. Auch schöne Erlebnisse werden durch Teilen noch einmal schöner.

Dienstag, 22. Oktober

Inzwischen haben Werner und Attila das erste Hundedoppelhaus in Luxusvariante fertig gebaut.

Als nächstes beginnen sie mit einem Zwinger. Das ist alles harte Knochenarbeit. Danke an Werner Alex, der unermüdlich und gut gelaunt den ganzen Tag hämmert und sägt und heute bereit ist, den knochenharten Boden aufzuhacken und Zwinger zu errichten.

Denn inzwischen haben wir Probleme, die neu eingefangenen und frisch kastrierten Hunde unterzubringen. Zurück auf die Straßen dürfen sie leider nicht mehr, dort würden sie von den Fängern des Bürgermeisters eingesammelt und in die Tötungsstation gebracht.
Seit heute morgen wird schon der Zaun darum gebaut. Die Pfosten dafür waren mir schon am Freitag aufgefallen. Nun ist es leider soweit.

Immerhin können wir die bisher provisorischen Zwinger erst einmal für unsere Hunde benutzen. Doch man geht jedesmal mit einem seltsamen Gefühl in den Bereich hinter diesen blickdichten Zaun. Die Phantasie erzeugt absurde Bilder im Kopf. Wie wird es hier den Hunden ergehen. Wieviele werden hier auf den Tod warten müssen, wie werden sie umgebracht. Welchen und wieviel Einfluss können wir noch nehmen?

Die Situation rund um’s Tierheim hat sich insgesamt verschlechtert. War im Sommer die mannshohe Wiese noch wild und naturnah, ist jetzt alles nieder gemäht, betoniert, und ein Zwischenlager für Müll ist entstanden. Der Müll von Gheorgheni wird mit Müllwagen dorthin gebracht und in größere Container verladen. Diese Container werden abends von noch größeren LKW’s abgeholt und zu einer zentralen Müllkippe gefahren, vermutlich nach Miercurea Ciuc. Das erzeugt ständigen Verkehr, Dreck und Lärm. Es ist nicht mehr möglich, Hunde frei am Tierheim-Gelände herumlaufen zu lassen, ausser am Sonntag. Der ehemals idyllische Blick vom Praxisfenster auf de Hargitha-Berge ist verloren.

Die Zustände im Tierauffanglager von Gabriella S. werden auch immer unhaltbarer und tierschutzwidriger. Das ist dem Bürgermeister allerdings vollkommen egal. Hauptsache die Hunde sind nicht auf der Straße. Vom ständigen Kleinkrieg zwischen den drei Tierschutzvereinen hat er die Nase voll, und wer eine Tötungsstation einrichtet, kümmert sich nicht um solche Kleinigkeiten.

Da Gabriellas Gelände direkt an unseres grenzt, können wir auch nicht wirklich darüber hinwegsehen. Sie sammelt weiter Welpen und lässt die Heranwachsenden verkommen. Es sollen inzwischen 60 Hunde sein. Bedingt durch den Neubau einer Straße für den Müllverkehr wird ihr Gelände um etwa 200 qm verkleinert, bzw, in Richtung unseres Geländes verschoben. Somit verlieren wir wertvollen Raum. und bekommen leider keinen Ausgleich.

Nicht zum ersten Mal schreibe ich über dieses unsägliche Lager neben unserem Tierheim. Da versuchen wir mit allen Kräften, viel Energie und Geld, unser Shelter so zu gestalten, dass sich die Hunde darin wohlfühlen können, und an den hinteren Zaun grenzt ein Ort, in dem die Hunde an Ketten knöcheltief in Matsch und Kot fast verhungern. Ein paar Monate lang habe ich es geschafft, dass sie täglich Futter bekamen. Das wurde dann aber von der Betreiberin Gabi S. abgelehnt. Grund: persönliche Animositäten … Die ersten beiden Tage während unseres Oktoberaufenthaltes habe ich diesen Zaun gemieden wie die Pest, aber auf Dauer war das nicht möglich. So schlimm wie dieses Mal habe ich es auch noch nie erlebt. Der Gestank war unerträglich. Abends im Hotel haben wir die wildesten Pläne entworfen, wie wir z.B. den hellen Labrador-Mischling da heraus holen können. Erstaunlich, welch dunkle subversive Gedanken in einem schlummern.

Mittwoch, 23. Oktober

Doch zum Glück konnten wir weiterhin legal bleiben, denn am 23.10 kamen Maria P. und Conny K. aus Holland zusammen mit Karcsi und seiner Frau Antonia nach Gheorgheni. Sie sind mit unserem Kastra-Team befreundet. Auch Sie sahen das Elend. Da sie von Gabriella nicht als “feindliche Personen” angesehen wird, konnten sie sich frei auf deren Gelände bewegen. Was Maria dort in einer Ecke fand, war unter anderem eine kleine Hündin, deren Fell derart verfilzt und mit Lehm und Kot verklebt war, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte. Auf dem Rücken hatte sie einen Panzer aus Filz und Dreck, an den Pfoten hingen Hühnerei große Drecksklumpen. Zuerst hat Norbi versucht, sie ein wenig zu befreien, aber da parallel dazu die Kastra-OP’s weiterliefen, haben Sabine und ein geduldiger Helfer das übernommen und das arme Tier in stundenlanger Kleinstarbeit mit Scheren millimeterweise befreit. Keine Schwermaschine hätte da durch kommen können.

Würde man nicht hin und wieder eine Pause bei den Freilaufhunden oder bei Welpen einlegen, könnte man schier verzweifeln.

Ein namenloser Welpe: ein kleines bisschen Glück alleine durch etwas Beschäftigung mit einem Spielzeug

Hundekinderknuddeln ist sehr entspannend, auch wenn man sich dabei immer fragt, was aus diesen Kleinteilchen wohl mal werden mag. Welche Chancen werden sie bekommen?

(Ich kann es an dieser Stelle schon verraten: diese beiden sind in Sicherheit und haben schon ihre Familien gefunden!)