Donnerstag 7. Februar 2013
Gestern abend sind wir , Monika Redel und ich, angekommen. Heute morgen wollen wir so früh wie möglich ins Tierheim, denn wir haben nur vier Tage Zeit und viele Termine, unter anderem ein sehr wichtiges Gespräch mit dem Bürgermeister der Stadt, das sehr gut vorbereitet werden muss. Seit rund zwei Wochen drehen sich meine Gedanken ständig um dieses Date, denn “unser” Tierheim steht auf sehr wackligem Boden. Doch dazu später mehr ….
Schnee und Nebel tauchen die Landschaft in eine sehr eigentümliche Atmosphäre, Vordergrund und Hintergrund verschwimmen miteinander. Die Linie des Horizonts ist verschwunden. Es ist lausig kalt und ungemütlich.
Im Tierheim selbst treffen wir gleich auf Levente, der uns als erstes den ehemals kleinen Donald zeigt.
Im Oktober war er mit seiner Mutter Daisy ins Tierheim gekommen, die Augen noch geschlossen. Jetzt hat Levente Mühe, das strampelnde Kerlchen zu halten.
Auf einem ersten Rundgang können wir deutlich sehen, dass es den Hunden den Umständen entsprechend gut geht; sie haben schönes dickes Fell und soliden Winterspeck, der sie über die kalte Jahreszeit bringt. Das Geld aus den Patenschaften und auch weiteres Geld für Futter aus den Vermittlungen hier in Deutschland ist bei den Hunden angekommen.
Ein weiteres Indiz dafür ist auch, dass es seit September nur einen tot gebissenen Hund gegeben hat. Der arme Spotty hat leider sein Leben verloren. Vorher war es durchschnittlich ein Hund pro Monat.
Unsere Kassenwärterin Monika ist zum ersten Mal mit im Tierheim und muss sich noch an die stürmischen Begrüßung durch die Hunde gewöhnen, was ihr sehr leicht fällt, denn sie sind alle durchweg freundlich und liebevoll.
Wir haben insgesamt nur sehr wenig Zeit, wollen aber jeden Hund mindestens einmal besuchen und wenn möglich durchknuddeln oder an seinem Vertrauen zu Menschen arbeiten.
Mein ganz besonderer Favorit ist DJAI, der Bruder von Roxy und Vuk, die bei mir auf Pflege gelebt und sich zu wunderbaren liebenswerten Hunden entwickelt haben. Er lebt nun in einem ruhigeren Zwinger mit sehr netten Artgenossen zusammen. Er ist ausgeglichener und wesentlich entspannter geworden und wunderwunderschön. Er begegegnet mir mit dem selben sanften Wesen wie seine beiden Geschwister.
Ärgerlich finde ich, dass die “TAPSI-GANG” – Tapsi, Tyler, Torsten, Kolya und Kaya – immer noch in demselben engen Zwinger zusammen gepfercht sind, obwohl die Umsiedlung dieser großen Hunde, die alle um die 65 cm groß sind, schon im Oktober beschlossen und fest versprochen worden war. Das dafür benötigte Material hatten wir gekauft! Aus irgendeinem Grund fehlt ein halber Meter Maschendraht. Einmal begonnen, nicht fertig geworden (ohne ersichtlichen Grund), und dann einfach vergessen….. Verdammtes rumänisches Phlegma.
Wenigstens dieses Projekt wollen wir jetzt innerhalb unseres Aufenthaltes beenden!
Aber ich will auch loben, denn die Überdachung der drei neuen Welpenzwinger ist fertig geworden und schützt die Kleinen so vor der schlimmen Witterung. Und Decken und Stroh haben sie auch in ihren Hütten. Allerdings müssen wir die Decken mal auswechseln …
Vier etwa 6 Wochen junge Welpenmädchen hüpfen am Zaun auf und ab, und wollen begrüßt werden, unter anderem die kleine Sheela (sie erinnerte mich vom Gesicht her spontan an meine Aussiehündin Sheila). Sie sind munter und fröhlich und spielen sofort mit den Bändern von Monikas Anorak.
Drei Kleine sind sehr menschenbezogen, ein weisses ist etwas scheu und verkriecht sich in der Hütte. Es lässt sich jedoch problemlos anfassen und auf den Arm nehmen. Wir werden sie Fairy nennen.
Danach beginnt eine der schwierigsten Aufgaben überhaupt: Die Welpen, die wir zuletzt im Oktober gesehen haben, sind zu Junghunden herangewachsen und haben sich dabei oft sehr verändert, ausserdem sind sie inzwischen in anderen Zwingern und in andere Gruppen integriert worden. Die drei verbliebenen Irina Kinder Isfaa, Igor und Ida sind noch im überdachten Bereich. (Irina selbst, ihre Kinder Imbra, Ilken und Ziehkind Stella sind inzwischen glücklich adoptiert worden). Gemeinsam mit ihnen lebt noch ein gutes weiteres Dutzend namenlose 4 – 6 Monate alte Junghunde. Es sind einfach zu viele. Ich habe den Eindruck, dass hier der Überblick fehlt. Spätestens jetzt sollte man sie chippen und ihre Namen, Geschlecht, etc. in einer Datenbank aufnehmen, denn in drei oder vier Monaten haben sie sich völlig verändert und sie sind kaum mehr zuzuordnen. Aber das ist sehr deutsch gedacht.
Anjalis Kinder leben im Aussenbereich, auch mit anderen Junghunden in einem Zwinger, die ich nicht kenne – oder vielleicht doch? Im dicken Winterpelz sehen sie so ganz anders aus. Wir haben 50 Transponder dabei. Hier werden wir mit unserer Aktion beginnen, denn diese tollen Hunde haben eine Chance auf ein besseres Leben redlich verdient. Sie sind alle munter, menschenfreundlich und kommen mit Artgenossen gut klar: Amira, Aladin, Alma, Naima, Nelly ….
Auf Anhieb erkenne ich zwei Effis wieder, die dritte war im Oktober an Herz-Kreislauf-Versagen gestorben. Ausserdem unverkennbar der Größte der Gruppe: Bully, der sich zu einem ganz schicken kräftigen Junghund entwickelt hat und die zarteste von allen: Lalena, die jetzt doch schon etwa 40 cm groß ist.
Hier treffen wir auch Attila, den neuen Mitarbeiter, dem wir mit Hilfe unserer Sponsorin Charlotte E. ein monatliches Honorar zahlen können, ebenso wie Levente. Wir hoffen, dass er nach einer Anlernphase in der Lage sein wird, wenigstens an einem Tag der Woche selbständig das Reinigen der Zwinger und das Füttern der Hunde zu übernehmen, damit Levente sich endlich auch einen freien Tag pro Woche gönnen kann.
Die beiden Effis sind unglaublich freundliche und liebebedürftige junge Hündinnen, die sicherlich auch bestens in Familien mit Kindern passen werden. Sie finden uns Menschen mega toll! Manchmal frage ich mich, womit wir das verdient haben.
Jetzt beginnen wir – mal wieder – damit, die Hunde zu fotografieren, ihnen anständige Namen zu verpassen und somit eine Identität. Agota und Levente sind dabei keine große Hilfe, nur die Lieblingshunde haben Namen, die auch durchaus gerne mehrfach vergeben werden. Es gibt eine grau gestromte Hündin namens Tigris, einen alten weissen Rüden namens Tigris (bei uns Merlin) …. und wer wie ein Husky aussieht heisst kurzerhand auch so. Familienverhältnisse sind wichtiger: Huskys Bruder heisst demnach Husky’s red brother, Husky’s brown sister ….. Naja so kommt man auch über die Runden, aber häufig auch heftig durcheinander. Dass eine sister ganz plötzlich ein brother ist … was solls.
Doch für uns ist das immer peinlich, wenn wir hier in Deutschland eine Hündin vermitteln und beim Chippen kurz vor der Abreise werden wir informiert, dass es doch ein Rüde ist. Von den drei Bogyan Schwestern Kira, Mira, Dira (ehemals Bogyan’s brown, grey and beige sister) habe ich doch diesmal glatt Mira als Rüden enttarnt. Also wird ein Mirko draus.
Das Chaos im Zwinger der “namenlosen ” Hunde ist riesig. Levente kennt nur Bully, den er Bulldog nennt. Agota ihrerseits hat oft ganz andere Namen für die Hunde. Was soll’s. Alle springen durcheinander, hüpfen an uns hoch. Fotografieren auf Hundeaugenhöhe unmöglich, denn das Objektiv wird umgehend zu einer Softlinse, wenn die Hunde sie abschlappern. Also eine von uns nimmt die Mäuse auf den Arm, die andere fotografiert sie. Zuordnen und benennen werde ich sie später am heimischen Computer.
Diese hübsche Hündin heisst jetzt also DUNYA, ist ca. 6 – 7 Monate alt, handscheu und fühlt sich auf meinem Arm noch gar nicht wirklich wohl. Zum Glück ist Dunya schon kastriert.
Anders als DUSTY. Hoffentlich wird sie nicht läufig vor der nächsten Kastrationsaktion Ende April. Und falls doch, wird es hoffentlich früh genug bemerkt, ehe sich die Rüden prügeln und so weiter …
Einige der Youngsters vom Herbst habe ich wiedererkannt andere sind neu hinzugekommen, aber wo ist die kleine Delilah? Schulterzucken, weder Levente noch Agota wissen, welche Hündin ich meine.
Am frühen Nachmittag kommt Marta mit selbstgebackenem Kuchen, Laugen-Brezeln, Kaffee, Tee und Apfelsaft ins Tierheim und gemeinsam beraten wir, was morgen bei dem Treffen mit dem Bürgermeister zur Sprache kommen soll. Vor allem muss die aufgestaute Emotionalität von Agota und Levente ausgebremst werden, denn damit kommen wir kein Stück weiter.
Der Bürgermeister von Gheorgheni hatte in der Presse – ohne die Beteiligten zu informieren! – angekündigt, dass er eine weitere Zusammenarbeit mit dem Verein GATE (Agota und Levente bilden den Vorstand) als uneffektiv ansieht. Vor drei Jahren habe er ihnen die Lösung des Straßenhundeproblems anvertraut, aber immer noch seien viel zu viele Hunde in Gheorghenis Straßen. Das soll nun anders gelöst werden. Wie, darüber kursieren die wildesten Gerüchte, Vermutungen und ungeheure Ängste. ….
Morgen wollen wir das jetzt vom Bürgermeister selbst erfahren und versuchen, gemeinsame Lösungsansätze zu finden. Es wird nicht leicht, denn wir alle wissen, dass das reine Wegsperren der Hunde oder schlimmstenfalls auch die Tötung nur dazu führen wird, dass neue unkastrierte Hunde von ausserhalb die freigewordenen Territorien besetzen, Welpen aufziehen …
Und die Geschichte wiederholt sich ….
Später kommt die Sonne sogar ein wenig raus und wir machen uns weiter an die Arbeit: Hunde kraulen, fotografieren und versuchen, sie charakterlich einzuschätzen. Das hört sich eigentlich sehr schön an, ist es auch. Aber es ist auch sehr anstrengend, die vielen Eindrücke und Emotionen, die Hunde, der Lärm …
Man muss schon sehr standfest sein, wenn plötzlich vier, fünf mittelgroße kräftige Hunde an einem hochspringen.
Nicht immer gelingt das. Im Jungehundezwinger hatte ich mich hingehockt, um zu knipsen, plötzlich kam die Meute an, die Zwingertür, an die ich mich an lehnte hielt dem nicht Stamd, flog nach aussen auf, ich lag rücklings auf dem Boden und die Youngsters hüpften fröhlich über mich hinweg in den Freilauf. Das ganze Tierheim kommentieret diesem Vorfall mit lautem Gebell, die ängstlicheren Ausreisser kamen schnell in den sicheren Zwinger zurück, die Mutigeren feierten eine kleine Party. Wir sammelten sie recht bald wieder ein. Eigentlich schade, von mir aus hätten sie ruhig noch ein bisschen feiern dürfen da “draussen”. Doch Levente will Ordnung in seinem Tierheim, er hat Angst, dass es zu Tumulten und Beissereien in den geschlossenen Zwingern kommt. Das Projekt “Freilauf für Alle” muss noch intensiv geübt werden.
Im ständigen Freilaufbereich sind zur Zeit Daisy und Donald, Noru der große braune Bär, Boltos ein kleiner Kläffterrier, Matya, Lio und Marzsola, Agotas Hund, Harapos und Tökmag zwei absolute Freuhunde,
sowie Vadolö und Pettyes.
Während die ehemals unglaublich scheue Vadolö immer neugieriger wird, und mehr und mehr auftaut, zieht sich der schwarzweisse Pettyes immer weiter zurück. Es ist seltsam, denn hier geschieht ihm ganz sicher nichts Schlimmes.
Die hübsche Blacky – in Oktober noch im Freigelände – ist leider in einem Zwinger, wo sie sehr leidet. Warum? – Nun, sie ist mehrfach ausgebüchst und über den Tierheim-Zaum geklettert.- Na und? Sie will ein freier Hund sein – Aber draussen ist es für sie gefährlich, sie könnte überfahren werden. – Richtig, aber so können wir die Zahl der eingesperrten Hunde nie reduzieren, was ja schließlich unser Ziel ist – Ja , aber …. (Auszug aus einer typischen Diskussion mit Agota)
Blacky ist eine sehr nette, freundliche Hündin, die sicherlich mal ein Zuhause hatte. Sie tut mir so leid, eingesperrt im Zwinger …
Da kommt wieder die alte und nahezu unendlich wiederholte Frage auf, ist es besser, sicher eingesperrt zu sein oder frei und gefährdet zu leben?
Und wieder finde ich, dass es nur eine Lösung gibt, solche kastrierten, gechipten und geimpften Hunde laufen zu lassen und durch Futterstellen und offen aufgestellte Hütten ans Tierheim zu binden. So können sie kommen und gehen, wann sie mögen, müssen weder hungern noch frieren oder ums Überleben kämpfen. Wenn sie dann leider doch überfahren werden, ist das Schicksal, aber wir fahren doch auch mit dem Auto, obwohl wir wissen, dass wir jederzeit in einen Unfall verwickelt werden können.
Aber von diesen Gedanken wissen die Hunde nichts.
23.00 Uhr. Den Abend haben wir bei Agota zuhause verbracht. Sie hat uns all ihre Ordner, Bücher und Bilder gezeigt, in denen sie im Laufe der Jahre akribisch alles über das Tierheim aufgezeichnet hat: Jeden Hund, jede Impfung, jede Einschläferung. Im ersten Jahr finden wir erstaunlich viele Euthanasien insbesondere von Welpen mit der Diagnose Parvovirose. Doch seit alle ankommenden Welpen sofort bei Ankunft entwurmt werden und am nächsten Tag geimpft, ist es erheblich weniger geworden. Jede Eintragung “Euthanasia” gibt mir einen Stich, ich habe zuviele Welpen an dieser teuflischen Krankheit sterben sehen.
Es ist jedoch schön zu sehen, wie genau sie über die Hunde Buch führt und dass auch die “Namenlosen” dort eine eigene Geschichte haben.
Ich wüsste jetzt allzu gerne, warum die Hunde im Tierheim, das sich Hörweite zum Hotel befindet, seit einer halben Stunde unaufhörlich bellen. Nicht aggressiv sondern furchtbar aufgeregt. Es ist klirrend kalt, aber ich habe das Fenster sperrangelweit geöffnet, weil die Heizung nicht abgestellt werden kann! So heize ich die Nachtluft von Gheorgheni.