Mittwoch, 17. Oktober
In der Nacht hat es heftig geregnet, am Morgen liegt das Tierheim im dichten Nebel. Die schönen Hunde der Karpaten, im Sonnenlicht weiss und plüschig, sind jetzt unansehnlich grau, nass, und stehen mit den Füßen im aufgeweichten Matsch. Das ist nicht nur Erde und Wasser, der Boden ist durch jahrelange Benutzung uringetränkt. Man riecht es deutlich. Ein kleiner Vorgeschmack auf den Winter, wenn es hier tagelang neblig, nass und kalt ist.
Der alte Rex, heute steht er noch unglücklicher auf den Beinen mit den schmerzhaften Gelenken. Ob man es mit Rimadyl versuchen könnte, um ihm wenigstens die Schmerzen zu erleichtern? Rimadyl ist leider teuer.

Nero, einer unserer fünf Kettenhunde. Warum muss er an der Kette leben? Er erscheint mir friedfertig, ruhig, ist Menschen und Artgenossen wohlgesonnen. Nur weil er zur Fütterungszeit seinen Futternapf verteidigt, ist es doch nicht nötig, dass er den lieben langen Tag angekettet ist.
Max bewacht den Müllplatz, der sich in einer Ecke des Tierheimgeländes befindet. Hier werden Kot und tote Hunde in einer Grube entsorgt. Kein schöner Ort. Zweimal im Jahr kommt ein Bagger und schüttet das Elend zu, und gräbt eine neue Grube. Eine Dauerlösung kann das nicht sein.






Eins wird uns klar: wir brauchen für den kommenden Winter Kies, und zwar in jedem Zwinger eine dicke Schicht. Da kann das Wasser ablaufen und die Hunde versinken nicht im Schlamm. In einem Welpengehege mit etwas Kies sieht es doch schon besser aus.

Das ist einer der Welpen- und Junghundezwinger. Nachdem er gerade frisch gereinigt wurde, sieht er ganz gut aus, nur leider nie lange, bei so vielen Junghunden.
Am hinteren Ende, befindet sich das “Rattenloch”, aus dem ich im Sommer Sammi, Paulchen und Marli herausgeholt habe. Es ist schon wieder besetzt. Von aussen sieht es nicht so schlimm aus, aber innen trocknet der Betonboden nie ab, da kaum Sonnenlicht herein kommt.
Sicherlich einmal “gut gemeint” ist es aber auch so ein Element, das ich am liebsten abreissen würde, um weitere Verwendung zu verhindern. Nur vorher brauchen wir einen Ersatz. Diesmal haust darin eine Hündin mit einem gerade mal 10 Tage alten Welpen, in einer von Parvovirose verseuchten Umgebung. Im Sommer starb Paulchen an dem Virus, Sammi und Marli konnte ich nur mühsam am Leben erhalten. Es ist unglaublich. Doch wohin mit den beiden, die Krankenstation ist noch nicht fertig, es bleibt nur das Prinzip Hoffnung.
Zum Infektionsdruck kommt noch enormer psychischer Stress, durch die nebenan herumwuselnden Welpen, die die Hündin in einem fort ankläffen. Terrorwelpen. Jedes einzelne davon niedlich und nett, als Gruppe sind sie rotzfrech und oft unausstehlich!
Wir können nur hoffen, dass das Wetter sich bessert, und der Boden in der Krankenstation bald trocknen kann.
Gegen Nachmittag wird das Wetter besser, wir beobachten, untersuchen, beschreiben und fotografieren die Hunde, ihre Situation in den Gruppen, überlegen uns Umgruppierungen und bereiten das Haus für die Kastra-Aktion vor. Einige Hunde, die demnächst ausreisen dürfen, werden mit Transpondern versehen. Bevor Hunde in andere Zwinger umgesetzt werden können, müssen wir Maschendraht besorgen, denn die Gitter der Aussenzwinger sind so weitmaschig, dass sich kleinere Hunde dadurch zwängen können. Andere klettern über die Abtrennung, wieder andere attackieren sich durch die Gitter hindurch, und die Verletzungsgefahr ist groß.
Flecky steckt den Kopf neugierig durch das Gitter, hat dann aber große Schwierigkeiten, den Kopf wieder zurück zu ziehen und wird panisch. Dies könnte in einer entsprechenden Situation andere Hunde dazu bringen, sie zu attackieren, und schon wäre wieder ein Hund schwer verletzt oder sogar tot. Für die älteren Aussenzwinger brauchen wir bis auf eine Höhe von ca. 1,5 m Maschendraht. Die neueren Zwinger, die wir teilweise im Sommer mitfinanziert haben, sind mit engeren Gitterelemente versehen.
Alles das sind auch in Rumänien kostspielige Anschaffungen. Und wenn man bedenkt, dass das Geld nicht einmal für Futter und medizinische Versorgung der Hunde ausreicht, sind Gedanken über Maschendraht purer Luxus.
Donnerstag, 18. Oktober
Seit gestern abend ist die Tierärztin Nina Schöllhorn mit ihrer Assistentin Christina in Gheorgheni, und die Kastrationsaktion beginnt. Zuerst werden die Hunde aus dem Tierheim behandelt und kastriert. Ungefähr 40 sind seit der letzten Aktion im Juni 2012 “nachgewachsen”. Denn immer wieder werden neue Welpen gefunden, auf der Straße, im Müll, oder sonstwo herumirrend.
Auch die Hündin aus dem “Rattenloch” soll kastriert werden. Wir holen sie aus dem Zwinger und betrachten sie zum ersten Mal im Sonnenlicht:
Jetzt wird das ganze Ausmaß ihres körperlichen Elends sichtbar: Soviel zum glücklichen freien Straßenhundeleben.
Hautkrankheiten, Parasiten, schlechteste Ernährung und ein zusammengebrochenes Immunsystem haben das Fell der Hündin völlig zerstört. Die Haut ist schuppig. Sie ist abgemagert bis auf die Knochen. Wie will sie in diesem Zustand einen Welpen groß ziehen?
Aber trotzdem schaffen es viele Hunde irgendwie zu überleben, sich über Wasser zu halten, um dann nach wenigen Monaten schon wieder Welpen aufziehen zu müssen. Das Leben auf der Straße ist so gnadenlos. Für die scheinbare Freiheit müssen die einzelnen Individuen sehr teuer bezahlen.
Als könnte sie meine Gedanken lesen, schaut mich diese Hündin zutraulich an und signalisiert eindeutig, dass auch sie sich nach einem Menschen sehnt, der ihr Sicherheit, Wärme und Nahrung gibt. Sie genießt es sehr, gestreichelt zu werden.
In den nächsten Stunden werden unsere Junghunde kastriert, fast wie am Fließband. Nina und Christina arbeiten hoch konzentriert und routiniert zusammen; während ein Hund auf dem OP-Tisch liegt, wird ein anderer in die narkotisiert und für die OP rasiert, während ein dritter draussen in einer Gitterbox so ganz langsam schon mal müde wird. Barbara und ich schleppen Hunde an, legen sie zum Erholen nach der OP in eine Transportbox, und bevor sie richtig wach sind und evtl. in der fremden Umgebung panisch werden könnten, sind sie schon wieder im vertrauten Zwinger. Dort taumeln sie erst ein wenig benommen herum, um sich dann in eine Hütte zu legen und ihren Rausch auszuschlafen. Ich staune immer wieder, wie gut die Junghunde das “wegstecken”.



Hunde, die zurück auf die Straße sollen, bekommen Ohrclips, rosa für die Mädels und gelb für die Jungs.
Je älter die Hündinnen sind, desto schwieriger kann die Operation werden, vor allem, wenn eine Hündin trächtig ist, was man von aussen oft nicht sehen kann.
Diese junge Hündin hatten wir am Morgen vor einem Baumarkt eingefangen, sie war sehr hungrig und ließ sich mit Futter anlocken.
Sie war mit 6 Welpen trächtig. Wir freuen uns deshalb um so mehr, dass wir sie einfangen konnten.
Es mag ein seltsamer Gedanke sein, dies als “Erfolg” zu werten, doch je öfter man vor Ort ist, desto rationaler sieht man das:
Wir haben eine Hündin von dem enormen Stress befreit, 6 Welpen auf der Straße großziehen zu müssen und durchschnittlich die Hälfte der Babies durch Hunger, Krankheiten oder den Straßenverkehr zu verlieren. Man sieht oft tote Welpen an den Straßenrändern. Der Druck der auf den Hündinnen lastet ist enorm, denn die Kleinen müssen nicht nur mit Nahrung versorgt werden, sondern auch vor verschiedensten Feinden geschützt werden. Wahrscheinlich hat auch unsere Tierheim-Hündin ursprünglich nicht nur einen Welpen zur Welt gebracht. Die Hündinnen leiden sehr, wenn sie ihre Kinder verlieren.
Sogar zum Thema “Welpenkastration” hat sich meine Einstellung im Laufe der Jahre, die ich in Miercurea und jetzt in Gheorgheni aktiv war und bin geändert: Prinzipiell finde ich es nicht gut, Hunde schon mit 4 Monaten zu kastrieren, da sie einfach noch nicht ausgereift sind. Doch leider bekommen Hündinnen auch schon Welpen, bevor sie ausgereift sind. Um dies und zudem die gefährlichen Kämpfe unter den Rüden zu verhindern, geht es hier leider nicht anders. Auch die kastrierten Rüden sind oft äußerst erregt, wenn sie eine läufige Hündin wittern.
So müssen wir denn schweren Herzens auch schon die Welpen von Anjali kastrieren lassen, die nächste Kastra-Aktion wird erst im kommenden Frühjahr stattfinden, das ist dann für viele Junghunde schon zu spät.
Eine weitere wichtige Aufgabe: wir müssen vor Ort einen Tierarzt finden, der regelmäßig gut und zuverlässig die jeweils etwa 6 Monate alten Hündinnen und Rüden kastriert. Denn was nützt es, bei einer solchen Aktion nur die Tiere im Heim zu behandeln, wenn draussen unzählige Tiere herumlaufen und munter neue Welpen produzieren.
Wir haben Glück, das Wetter ist sonnig und warm, die Hütte für die Krankenstation konnte gut trocknen. Marta und Stefan spendieren zwei Bahnen PVC-Boden, den wir zunächst locker ausrollen. Aus Deutschland haben wir gut zu reinigende Plastikkörbchen mitgebracht und zahlreiche Decken. Damit machen wir einen Platz für die Hündin und den Welpen zurecht. Ich nenne die beiden Daisy und Donald. Sie müssen nie mehr ins Rattenloch zurück! So wird Daisy in der neuen sauberen und sehr viel ruhigeren Umgebung wach, während Klein-Donald sich an sie kuschelt und trinkt. Während der Narkose nach der OP hatte ich ihr Fell noch von den ekligen verfilzten Fellplacken befreit und sie sanft gebürstet. Das ist jetzt ein schöner Anblick!

Tagebucheintrag am Abend:
23 Hunde und eine Katze kamen heute unter das Messer. Etliche Hunde wurden ausserdem untersucht und behandelt, leider haben wir hier ein Welpchen mit leicht verkrüppelten Füsschen, dem hier in Rumänien wohl kaum zu helfen ist.
Zwischendrin fand sich sogar noch Zeit, ein paar Junghunde etwas anders zu verteilen, so dass Irina mit ihren Kindern nun einen eigenen wesentlich größeren und luftigeren Zwinger hat!
Unsere Straßenhündin hat sich den ganzen Tag fast lautlos und wohl ganz zufrieden im Kennel ausgeruht. Am Abend versorgten wir sie noch mit einer großen Portion Futter, bevor sie in die Dunkelheit entschwandt. Wir haben sie nicht mehr gesehen. Viel Glück du schöne Schwarze!